In der Freien Presse vom Samstag,18.12.10 stand auf Seite 2 folgenter Artikel:
ZitatDas Wunder von Chemnitz Fast unbemerkt ist in der Nacht zu gestern ein ICE in Chemnitz eingefahren. Nicht dem zähen Ringen der Stadt, sondern dem Schneechaos sei Dank.
Von Nicole Jähn
Chemnitz - Ein bisschen erinnert die Episode an die Foto-Premiere im Oktober in London. Als der schillernd schöne Schnellzug das erste Mal den Eurotunnel passierte und dann viel beachtet in der britischen Metropole einrollt. Nur, dass die aufwändige Präsentation fehlt. Doch der lang herbeigesehnte ICE, der war da. In Chemnitz!
"Das ist schon ein Ding", sagt Andreas Schlesiger und lacht. Der Student der Europastudien an der TU-Chemnitz saß drin im Zug, als dieser in der Nacht zu gestern 2.42 Uhr den Hauptbahnhof erreichte - fast ungesehen. "Nur ein Schaffner am anderen Gleis guckte ungläubig", erzählt der 22-Jährige. Mit ihm reisten etwa 40 Leute, Schüler und Studenten, die im Winterchaos von Dresden aus nicht weiterkamen. Kurzerhand setzte die Bahn einen ICE ein.
"Ein ICE? In Chemnitz? Unmöglich!" Der Sprecher der Deutschen Bahn fragt dreimal nach. Glauben will er es nicht. Sicher hätten sich die Passagiere getäuscht. Auf der Strecke fährt seit 2003 trotz allem Bemühen der Stadt kein ICE mehr. Zudem seien diese Züge knapp. "Als Sonderzug werden die nicht eingesetzt", sagt er. Schon gar nicht nach Chemnitz. Ein Geisterzug?
Auch die Reisenden können es kaum glauben, als sie in den Genuss des Vorzeige-Transportmittels kommen. "Wir scherzten, dass wir uns ja jetzt sogar in die erste Klasse setzen könnten", berichtet Schlesiger. Gemacht haben sie das doch nicht.
Die Studenten waren an jenem Tag auf Exkursion in die Hauptstadt gefahren - in einem IC. Am Abend ging es zurück. Die Fahrt endete bereits im brandenburgischen Luckenwalde. Der Triebwagen gab auf. Klar: wetterbedingt. Der Zugführer versuchte den Wagen wieder in Gang zu bringen - vergebens. Eine gefühlte Ewigkeit später holte ein Ersatztriebfahrzeug die Reisenden ab. Gegen 1 Uhr kamen sie in Dresden an. "Wir haben uns gefragt, wie es weitergehen soll. Ob wir ein Hotelzimmer bekommen oder einen Shuttle-Bus", sagt Schlesiger. Es rollte ein: der ICE 11111 - Sonderzug nach Chemnitz mit Halt in Freital-Hainsberg, Tharandt und Freiberg. Eine Schülergruppe stieg zu. "Wir wurden gefragt, wo wir hin wollen, dem entsprechend hielt der Zug", erklärt Schlesiger. In jener Nacht schien alles möglich. Der ungläubige Sprecher der Bahn bestätigt den Einsatz später: "Alternative wäre gewesen, einen Bus zu bestellen." Da der ICE über Nacht in Dresden gestanden hätte, "wurde operativ entschieden, mit dem ICE zu fahren." So schnell kann es gehen. Die Strecke ist dafür noch zugelassen - ein Überbleibsel aus den wunderbaren Jahren, als die Wagen mit Diesel-Neigetechnik auf der Trasse fuhren. 120 Kilometer in der Stunde sind drin. Der Zug rollte leer nach Dresden zurück, um am Morgen nach Frankfurt am Main zu starten. Andreas Schlesiger ist sich der Ausnahmesituation bewusst: "So schnell werde ich leider nicht mehr mit dem ICE nach Chemnitz fahren können."