Freie Presse vom 28. November 2011 „Blick nach Böhmen“
Zitat
Foto: Egbert Kamprath / Freie Presse
Bahnstrecke im Erzgebirge droht das Aus
Für die einen ist das Ausdünnen des Fahrplans zwischen Brüx/Most und Moldau/Moldava eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Andere halten es für den Anfang vom Ende.
VON STEFFEN NEUMANN Der Schienenbus rumpelt über das spektakuläre Viadukt bei Klostergrab/Hrob am Fuße des Erzgebirges. An diesem Montagmorgen im November bietet sich den Passagieren der Gebirgs- bahn von Brüx/Most nach Moldau/ Moldava beim Blick aus dem Fenster ein besonderes Naturschauspiel: Während oberhalb der Grenze von etwa 300 Höhenmetern klare Sicht und strahlender Sonnenschein herrscht, liegt darunter dicker Nebel, aus dem nur die vulkanischen Gipfel des Böhmischen Mittelgebirges herausragen.
Leere Triebwagen
Doch das Schauspiel bleibt fast unbeachtet. Denn in dem Schienenbus sitzt neben dem Fahrer, dem Schaffner und dem Reporter nur noch ein Reisender, der schon an der Station Strahl/St?elná aussteigt. Die geringe Auslastung veranlasst den Bezirk Aussig/Usti dazu, mit dem Fahrplanwechsel am 11. Dezember den Verkehr auf der Strecke von Ossegg/ Osek nach Moldava wochentags einzustellen. ,,Es sind im Durch- schnitt maximal drei Reisende im Zug", erklärt dazu Bezirkssprecherin Magdalena Hanackova. Der neue Fahrplan wird sich ganz auf die touristische Nutzung konzentrieren. Die Züge verkehren nur noch an den Wochenenden und in den Ferien, womit sich der Trend der zurückliegenden Jahre fortsetzt. Und ihm Rechnung getragen wird der Wochenfahrplan war auf zuletzt nur noch zwei Verbindungen pro Tag ausgedünnt.
Der schnauzbärtige Schaffner, der seit 20 Jahren auf der Gebirgsstrecke im Dienst ist, tut sich mit Blick auf den leeren Triebwagen schwer, von Durchschnitt zu sprechen. ,,Im Oktober war es bei uns fast immer voll, da haben viele Schulen ihren Ausflug ins Gebirge gemacht. " Die Entscheidung, die Züge künftig nur noch samstags und sonntags fahren zu lassen, hält er für die ,,größte Dummheit", wie er sagt. ,,Sobald auf dieser Strecke fünf Tage lang kein Zug mehr fährt, kommen die Metalldiebe. Dann ist es mit der Route ganz vorbei", ist der Schaffner überzeugt.
Die letzte Pendlerin
Auch Libuse Hochmalova hält den neuen Fahrplan für den Anfang vom Ende. Die Strecke hat Österreich-Ungarn, den Ersten Weltkrieg, den Zweiten Weltkrieg und auch den Sozialismus überlebt. Doch nun ist es aus mit ihr", sprudelt es aus ihr heraus. Die elegant gekleidete Frau aus Moldava ist die letzte Pendlerin auf der Strecke. Ihre Arbeitszeiten in Leutensdorf/Litvinov scheinen ganz auf den Fahrplan abgestimmt zu sein. ,,Ich arbeite nur halbtags", sagt sie. Und nachdem sie beim Schaffner mit den Worten,,so wie immer" die Fahrkarte gelöst hat, macht sie es sich mit einem Buch am Fenster bequem. ,,Ist das nicht wunderschön?", fragt sie und zeigt nach draußen. Der Schienenbus rollt gerade an Bergwiesen und Wäldern auf dem Erzgebirgskamm vorbei. Und der Schaffner stimmt Hochmalova eifrig nickend zu. Danach geht es mit zehn Stundenkilometern durch den ersten engen Tunnel. in dem schon die ersten Eiszapfen hängen. Es folgt ein kleines Viadukt mit Blick auf den Berg Stürmer/Bournak und ins Tal nach Niklasberg/Mikulov, ehe sich der zweite und längere Tunnel anschließt. Beide sind so eng, dass man Angst bekommt, der Schienenbus könnte stecken bleiben.
Macht er nicht, sondern rollt frölich weiter gen Eichwald/Dubi. Anhalten muss er nicht, denn es steigt keiner mehr ein. An der berühmten Spitzkehre wird gewendet, und nach einer langen Fahrt durch den Wald rollt der Triebwagen wieder über das Viadukt bei Hrob. Auch dieser ehemals so stolze Bahnhof mit fünf Gleisen wird bald nur noch am Wochenende bedient. Magdalena Hanackova vom Bezirk Usti hält die Befürchtungen, die Strecke könnte ganz geschlossen werden, für übertrieben."Anderswo funktioniere der Wochenendverkehr doch auch. Lebuse Hochmalova wird in Zukunft nach Litvinov einmal umsteigen müssen. Ihre Arbeitszeiten werden sich wieder ändern, da der Bus schon früher fährt. Bis dahin genießt sie noch die Fahrt in ,,ihrem" Schienenbus.